Bürgerschaftliches Engagement liegt dem Ehepaar Alix und Oliver Puhl schon lange am Herzen. Mit tomoni mental health haben sie vor zwei Jahren ein eigenes Sozialunternehmen gegründet. Die Puhls wollen mit tomoni erreichen, dass psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen früher erkannt werden – damit die Hilfe nicht zu spät kommt.
Bunte Sofas, eine gemütliche Teeküche – und eine spektakuläre Aussicht. Aus den Fenstern blickt man auf die Hochhäuser des Frankfurter Bankenviertels. Alix Puhl mischt Zitronensaft ins Mineralwasser, dann geht es um die Ecke in ein Besprechungszimmer. Seit dem Herbst ist das Ehepaar Alix und Oliver Puhl mit seinem Sozialunternehmen tomoni mental health in einem Co-Working-Space im Frankfurter Eurotheum untergekommen. Das 2022 gegründete Unternehmen ist schnell gewachsen. 10 Mitarbeiter, darunter Vollzeitkräfte wie Werkstudenten, arbeiten mittlerweile zusammen im Kernteam von tomoni. Zu viele, um das gemeinnützige Unternehmen weiterhin vom eigenen Wohnhaus aus betreiben zu können.
Der Anlass, aus dem heraus das Ehepaar ihr Unternehmen gegründet hat, ist ein trauriger. Ihr Sohn Emil hat sich im Juni 2020, als er 16 Jahre alt war, das Leben genommen. Sein Tod hat viele in Frankfurt aufgewühlt. Nachdem Emil verschwunden war, hatten die Puhls die Öffentlichkeit gesucht. Zahlreiche Bürger und Bürgerinnen beteiligten sich an der Suche nach dem Jungen.
Doch auch als sein Tod feststand, haben die Eltern nicht aufgehört, über die Ursachen öffentlich zu sprechen. Sie wollen erreichen, dass Emils Tod zu einem Umdenken beitragen kann. Sie hoffen darauf, dass psychische Erkrankungen nicht mehr als Tabuthema gesehen werden.
Späte Diagnose
Emil Puhl litt an einer Autismus-Störung und, als Folge, an einer Depression. Erkannt wurde das aber erst kurz vor seinem Suizid. Würde ihr Kind noch leben, wäre die Diagnose früher erfolgt? Eine eindeutige Antwort gibt es für die Puhls darauf nicht. Doch mit dem Sozialunternehmen, das sie gegründet haben, wollen sie erreichen, dass Anzeichen von psychischen Erkrankungen früher entdeckt, diagnostiziert, und dadurch besser behandelt werden können.
tomoni schult deshalb unter anderem Lehrer und Lehrerinnen störungsübergreifend zum Thema psychische Erkrankungen. Die interaktiven Online-Workshops sollen ihnen helfen, psychische Erkrankungen von Schülern frühzeitiger zu erkennen. Und die Pädagogen sollen erfahren, wie sie reagieren, wenn ihnen auffällt, dass "etwas nicht stimmt", wie sie für Hilfe sorgen und wen sie ansprechen können. Mehr Austausch zwischen Lehrern, Eltern, dem Umfeld von jungen Erkrankten, Diagnostikern und Therapeuten soll angeregt werden. tomoni ist ein japanischer Begriff und bedeutet "zusammen". Nur in Zusammenarbeit, nur gemeinsam kann gute Arbeit gegen psychische Erkrankungen und deren Folgen gelingen, davon sind die Puhls überzeugt.
Engagiert war das Ehepaar aber auch schon vor der Gründung von tomoni. Oliver Puhl, der lange als Investmentbanker arbeitete, war in den Fördervereinen des Jüdischen Museums und des Museums für Moderne Kunst als Schatzmeister aktiv. Die Juristin Alix Puhl vier Jahre lang Vorsitzende des Frankfurter Stadtelternbeirats. 2015 haben sie ihre eigene gemeinnützige Stiftung gegründet: die Puhl Foundation.
Die Stiftung Polytechnische Gesellschaft hat den von der tomoni mental health und dem Frankfurter StadtschülerInnenrat Frankfurt initiierten Schul-Suizidpräventionstag 2023 im Rahmen der Förderlinie Psychische Gesundheit gefördert.
Engagement von Bürgern ist etwas typisch Frankfurterisches
Dass Bürger sich für und in ihrer Stadt engagieren, sei typisch frankfurterisch, meint Alix Puhl. Bürgerschaftliches Engagement und Stiftungen haben in der Stadt tatsächlich eine lange Tradition. Die 1914 gegründete Frankfurter Goethe-Universität etwa war Deutschlands erste Stiftungsuniversität. Oder das bekannte Städel Museum: Ohne den Stifter Johann Friedrich Städel und viele weitere Mäzene würde es das Museum und seine hochkarätige Sammlung sicherlich nicht geben.
"Wir wollen weg von einem 'Man müsste mal' zu einem 'Wir machen etwas'", beschreibt Alix Puhl die Motivation des Paares, sich zu engagieren, sich einzumischen. "Wenn man etwas bewegen will und das gibt es bislang nicht, dann muss man es halt selbst machen." Nicht nur weil es ihnen finanziell gut geht, möchten sie der Gesellschaft "etwas zurückgeben". Und sie wollen auch andere Familien, die die Ressourcen dafür haben, dazu motivieren, sich zu engagieren: "Wir wollen andere anstiften."
»Das Projekt findet uns«
Als sie ihre Stiftung gründeten, da hatten die Puhls noch "kein eigenes Projekt". Und sie waren sich auch uneinig, ob das von Anfang an nötig ist. Oliver Puhl wollte gerne bald ein eigenes Stiftungsprojekt auf die Beine stellen, Alix Puhl war zurückhaltender. "Ich habe zu meinem Mann damals immer gesagt: Das findet uns."
Sie haben sich dann zunächst an den sogenannten Deutschland-Stipendien beteiligt. Damit werden Studierende ein Jahr lang mit 300 Euro im Monat gefördert. Die Hälfte der Summe kommt von privaten Spendern, die andere Hälfte wird aus Bundesmitteln gezahlt. Oliver Puhl hat außerdem gemeinsam mit dem Vater von Alix Puhl, dem Bankier Michael Hauck, für sieben Jahre eine Gastprofessur zur Holocaust-Forschung am Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt finanziert. Während der Corona-Pandemie unterstützten die Puhls junge, ausländische Kunststudierende an der Frankfurter Städelschule und der HfG in Offenbach.
Im Gespräch mit ihnen erfuhr das Paar auch, warum so viele junge Künstler am Ende ihres Studiums Frankfurt verlassen: Es gibt in der Stadt zu wenige bezahlbare Atelierräume. Daran wollten sie mit einer Initiative unter dem Titel "art. works. fra" etwas ändern. Ihre Idee: Sie unterstützen junge talentierte Künstler, indem sie die Hälfte der Ateliermiete für sie übernehmen. Eine Jury wählte die Stipendiaten aus, die sich dann selbst auf die Suche nach geeigneten Räumen machten. Doch das Projekt "funktionierte nicht": Es fanden sich keine Vermieter, die bereit waren, geeignete Räume zur Verfügung zu stellen. Darum haben die Puhls die Initiative nun "erst einmal auf Eis gelegt". Einen zweiten Anlauf wollen sie trotzdem nicht ausschließen. "Die Idee ist ja immer noch gut."
Im Fokus steht jetzt sowieso tomoni mental health, die Herzensangelegenheit der Puhls. Sie wollen die digitalen Angebote Stück um Stück erweitern, Workshops für Eltern und das Umfeld von gefährdeten Jugendlichen, die "Peer Group", zum Laufen bringen. Und sie wollen erreichen, dass noch mehr Menschen von ihrem Unternehmen und den Hilfsangeboten erfahren. Das klappt schon erstaunlich gut. Ein Beispiel: Im November 2023 wurde tomoni mental health mit dem Hessischen Gründerpreis in der Kategorie "Gesellschaftliche Wirkung" ausgezeichnet.
Die Stiftung Polytechnische Gesellschaft möchte mit der Förderlinie "Psychische Gesundheit" auf die Bedeutung des Themas aufmerksam machen. In unserer redaktionellen Begleitung zum Themenkomplex lassen wir unterschiedliche Stimmen und Ansichten von Expertinnen und Experten sowie Betroffenen zu Wort kommen. Die in den Beiträgen geäußerten Ansichten und Meinungen geben dabei nur die der jeweiligen Person wieder und müssen nicht mit denen des Herausgebers übereinstimmen.