Sarah Kaszmirski und Sonja Weller sind Stadtteil-Botschafterinnen für Frankfurt-Bornheim. Als Erziehungswissenschaftlerinnen und Töchter alleinerziehender Mütter kennen sie den Einfluss, den die familiäre Situation und die verfügbaren Ressourcen auf die Entwicklung eines Kindes haben. Mit ihrem Projekt "gemeinsam alleinerziehen", einem Begegnungscafé für alleinerziehende Eltern in Frankfurt-Bornheim, wollen sie Alleinerziehende unterstützen.
Als Sonja und Sarah zusammen das Helmholtz-Gymnasium in Frankfurt besuchen, haben sie zunächst nicht viele Berührungspunkte. Doch in der Oberstufe spüren die beiden heranwachsenden Töchter alleinerziehender Mütter irgendwie eine besondere Verbindung. "Ab dann waren wir ein bisschen das Chaos-Duo", schwelgt Sonja lächelnd in ihrer Erinnerung an die Anfangszeit ihrer bis heute engen Freundschaft mit Sarah. "Wir haben uns irgendwann darüber unterhalten, dass wir eine ähnliche Geschichte mit unserem Vater haben. Also, dass der eigentlich in unserem Leben nicht existiert, und einfach über Probleme, die man als Teenager so hat. Darüber haben wir bemerkt, dass wir ähnliche Lebensgeschichten haben." In ihrer Kindheit und Jugend wohnen beide mit ihren Müttern und teilweise mit Geschwistern auf sehr engem Raum. Geldsorgen sind ein Thema.
Trotzdem sehen sie schon damals, wie viel ihre Mütter für sie leisten. "Wir haben uns oft geärgert, wie schlimm das eigentlich ist, dass man so groß wird. Weil man einfach in vielerlei Hinsicht benachteiligt ist. Und dabei sind wir eigentlich nicht diejenigen, die den Großteil der Last getragen haben. Eigentlich waren es ja unsere Mütter", erinnert sich Sonja. "Darüber haben wir immer wieder diskutiert und oft gescherzt, dass es doch cool wäre, wenn wir ein Projekt starten würden, um alleinerziehende Eltern zu unterstützen."
Einmal alle Verpflichtungen vergessen
Inzwischen sind die beiden Erziehungswissenschaftlerinnen: Sarah studiert noch und jobbt nebenher in einer Kinderkrippe, Sonja hat das Studium bereits abgeschlossen und arbeitet Vollzeit in einer Kindertagesstätte. Als sie vom Stadtteil-Botschafter-Stipendium erfahren, lässt das ihre Projektidee wiederaufleben. "gemeinsam alleinerziehen" heißt das Projekt heute, das die beiden dank des Ehrenamtsstipendiums Realität werden lassen konnten: ein Begegnungscafé für alleinerziehende Eltern in Frankfurt-Bornheim. Lokal, niedrigschwellig, abwechslungsreich und nützlich muss es sein, das stand für Sonja und Sarah schon früh fest. "Die wichtigsten Bestandteile sind, dass die Eltern bei den mehrstündigen Treffen irgendwo gemütlich sitzen können, sie mit Essen und Trinken versorgt sind und dass die Kinder beschäftigt werden, damit die Eltern einfach abschalten können," erklärt Sonja. "Wir versuchen die Treffen aber auch immer mit einer Aktion zu verbinden. Es soll ein Highlight sein, das auch für die Erwachsenen ansprechend ist. Das ist uns wichtig."
Ein Ausflug zu einer Straußwirtschaft, ein Besuch im Museum und ein Umsonstflohmarkt, für den viel mehr Spenden zusammenkamen, als die beiden Frauen im Vorfeld erwartet hatten, waren für Sonja und Sarah bisher die schönsten Aktivitäten. So auch für die Eltern, die zu den Treffen kommen: "Bei unserem ersten Treffen hatten wir Angst, es würde niemand kommen. Wir waren dann am Ende zu fünft. Eine Frau kam mit ihrem Sohn, die haben sich beide total über das Angebot gefreut. Seitdem waren sie bei fast jedem Treffen dabei und sind jedes Mal total euphorisch. Sie sind echt schon zu einer Konstante geworden. Das zeigt mir, dass wir etwas richtigmachen," sagt Sonja stolz.
»Wir haben realisiert, wie heftig das einfach war, wie wir aufgewachsen sind. Es ist nicht so, dass unsere Mütter das überhaupt nicht gemeistert hätten. Und uns fehlte auch keine Vaterfigur, das kannten wir ja nicht. Wir haben uns eher krass gewundert, wie die beiden das alles geschafft haben.«
Über zwei Millionen minderjährige Kinder leben in Deutschland in alleinerziehenden Familien (Stand 2021). In rund 90 Prozent dieser Fälle übernimmt die Mutter die Betreuung. Das Armutsrisiko ist für alleinerziehende Familien höher als bei jeder anderen Familienform, fast die Hälfte der Kinder ist armutsgefährdet. Zahlen, die Sonja und Sarah nicht akzeptieren wollen: "Wir haben realisiert, wie heftig das einfach war, wie wir aufgewachsen sind. Es ist nicht so, dass unsere Mütter das überhaupt nicht gemeistert hätten. Und uns fehlte auch keine Vaterfigur, das kannten wir ja nicht. Wir haben uns eher krass gewundert, wie die beiden das alles geschafft haben. Es ist ja schon mit zwei Eltern schwierig, ein Kind aufzuziehen. Alleine ist das noch eine viel größere Herausforderung. Das belastet auch die Kinder und wird gesellschaftlich einfach nicht wirklich gesehen oder wertgeschätzt."
"gemeinsam alleinerziehen" soll dem entgegenwirken. 39 Mütter und ein Vater kommen inzwischen regelmäßig zu den Treffen – ein wichtiges Netzwerk, weiß Sonja: "Menschen brauchen ein Netzwerk, egal in welcher Lebenssituation sie sich befinden. Wenn man alleinerziehend ist, steckt man selbst zurück, das wird schnell zur Gewohnheit. Irgendwann ist man dann einfach raus und weiß nicht mehr, wo man am besten ansetzen sollte, um wieder Kontakte mit anderen zu knüpfen. Wir wollen dieser Ansatzpunkt sein für ein Netzwerk aus Menschen, mit denen man Gemeinsamkeiten hat. Das ist unheimlich wichtig, man fühlt sich verstanden und kann sich gegenseitig helfen. Viele der Eltern, die zu uns kommen, haben Kinder in unterschiedlichem Alter und bereits Erfahrungen mit Dingen, mit denen jemand anders vielleicht gerade Schwierigkeiten hat. Auch der Vater, der zu den Treffen kommt, wird total wertschätzend aufgenommen und gibt der Gruppe eine wichtige Perspektive. In fachlichen Fragen verweisen wir auch mal an andere Anlaufstellen, wie den Verein für alleinerziehende Mütter und Väter. Aber ansonsten müssen Sarah und ich da gar nicht viel machen. Der Austausch und die Vernetzung finden ganz von selbst statt."
Die Starken helfen den Schwächeren
Inzwischen ist das Projekt an das Zentrum Familie in Frankfurt angegliedert und wird im Rahmen des Fördertopfs Engagement+ über die Laufzeit des Stadtteil-Botschafter-Stipendiums hinaus weiter von der Stiftung Polytechnische Gesellschaft gefördert. Für die Zukunft wünschen sich Sonja und Sarah, dass sie die Organisation der Treffen in ihren beruflichen Alltag integrieren können. Bis dahin freuen sie sich über Spenden und ehrenamtliche Unterstützung. "Wir nehmen aber nichts von Alleinerziehenden an", erklärt Sonja. "Die leisten schon genug. Wenn sie zu uns kommen, sollen sie ihre ganzen Verpflichtungen für einen Moment vergessen und sich einfach entspannen können. Gesellschaftlicher Zusammenhalt bedeutet, dass die Schwächeren unterstützt werden müssen. Alleinerziehenden stehen häufig einfach weniger Zeit, finanzielle Mittel und Ressourcen zur Verfügung. Nichts schweißt eine Gesellschaft mehr zusammen als die zu unterstützen, die Hilfe brauchen. Und irgendwann, wenn sie selbst keine Hilfe mehr brauchen, haben sie vielleicht die Ressourcen, selbst den Schwächeren zu helfen."
Was ihre Mütter über ihr Projekt denken? "Die beiden finden das toll", erzählt Sonja. "Meine Mutter sagt, dass sie sowas nie hatte, als sie alleinerziehend war. Aber unsere Mütter machen sich auch Sorgen, dass wir uns überarbeiten." Wem die beiden diese Ader für außerordentliches Engagement wohl verdanken?