Polytechnik-Preis

Ein Fake-Wasser für ein besseres Demokratieverständnis

16. Februar 2023, von Jens-Ekkehard Bernerth. Aufmacherfoto: Dr. Moritz Krause

HIQO - Das Wasser, das schlau macht. Foto: Dr. Moritz Krause.

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Das Konzept HIQO der Bremer Wissenschaftler Dr. Nadja Belova und Dr. Moritz Krause wurde im November des vergangenen Jahres bei der Verleihung des Polytechnik-Preises 2022 mit einem Sonderpreis ausgezeichnet. Im Kern ist es ein Projekt zur Bildung von Medienkompetenz im naturwissenschaftlichen Rahmen – und trägt somit erheblich zur Demokratiebildung bei den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern bei.

„Das Wasser, das Dich schlauer macht“, begrüßt der Instagram-Auftritt von HIQO (@HIQO_official) den Besucher. „Innovation“, „science-based“, „Leitfähigkeitsextrakt“ stehen als besondere Schlagwörter in der Beschreibung; ferner finden sich ein Produkttest-Video sowie eine Fragen-und-Antworten-Sektion auf dem Profil. Zweifelsohne, die Aufmachung wirkt professionell und überzeugend – und ist am Ende trotzdem nur Schmu.

Denn hinter dem Instagram-Kanal steckt keine echte Werbekampagne, und in den Plastikflaschen kein besonderes Wasser mit „Leitfähigkeit“. Es sorgt auch nicht für einen höheren IQ, selbst wenn es der Name suggeriert. Dennoch macht HIQO schlauer. Denn mit dem Konzept trägt ganz banales Leitungswasser, eine in Zusammenarbeit mit Schülerinnen und Schülern gestaltete Online-Präsenz und eine kreative Idee von Dr. Nadja Belova und Dr. Moritz Krause dazu bei, dass Kinder und Jugendliche  bestenfalls kritischer an Medien und Inhalte aus den sozialen Netzwerken herangehen und Botschaften und Werbeversprechen hinterfragen.

Eine unglaublich wichtige Lektion, prasseln doch in Plattformen der sozialen Medien wie  Instagram, Twitter oder Tiktok ungefiltert und ungeprüft Nachrichten, Behauptungen und vermeintliche Tatsachen auf die Anwender aus allen Altersklassen ein – im Gegensatz zu einem seriösen journalistischen Angebot ohne Prüfung, Einordnung und auch gerne mal ohne dass hinterfragt wird.

Als Konsequenz kann es geschehen, dass Falschmeldungen und Unwahrheiten für bare Münze genommen und weiterverbreitet werden, es sich empört und aufgeregt wird und schlimmstenfalls Stimmung gegen Einzelpersonen oder ganze Gruppen gemacht wird – am Ende sogar in Form von Verschwörungstheorien gegen die demokratischen Strukturen und Entscheidungsträger.

Mit einer ausgeprägten und geschulten Medienkompetenz wird dementsprechend die Demokratie geschützt. Und je früher die Sensibilisierung stattfindet, umso besser.

»Der Schutz unserer Demokratie beginnt spätestens im Unterricht« Prof. Dr. Frank E.P. Dievernich

In seiner Laudatio der Preisträger bei der Verleihung des Polytechnik-Preises 2022 betonte Prof. Dr. Frank E.P. Dievernich: „Der Schutz unserer Demokratie beginnt spätestens im Unterricht. Naturwissenschaften und Technik sind aus sich heraus nicht korrumpierbar, sie werden erst im sozialen Raum genutzt und bisweilen eben ausgenutzt; junge Menschen werden vermehrt mit Informationen konfrontiert, die zumeist einen wissenschaftlich fundierten Hintergrund suggerieren, diesen aber tatsächlich nicht haben. Das kann letztendlich dazu führen, dass sich Fake News verbreiten und im Extremfall sogar eine Grundlage für Verschwörungstheorien darstellen können. Dagegen wehren Sie sich auf eine schnelle, charmante und überzeugende Weise“, lobte der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Polytechnische Gesellschaft die beiden Erfinder des Projekts, Dr. Nadja Belova und Dr. Moritz Krause.

Die beiden Wissenschaftler und Lehrer aus Norddeutschland teilen die Einschätzung Dievernichs hinsichtlich der sozialen Medien. Dr. Krause sagt dazu: „Soziale Medien sind da eine Gefahr, wo Fehlinformationen und sogar Verschwörungstheorien verbreitet werden. Wichtig ist, junge Menschen zu befähigen, reflektiert zu sein und sich bei kontroversen Themen umfänglich zu informieren, um eine eigene begründete Meinung zu bilden.”

Ein Verbot sozialer Medien lehnen die beiden Forschenden ab. Schließlich böten sie vielfältige Möglichkeiten der Vernetzung, der demokratischen Teilhabe, des Lernens und vieles mehr. Generell würden die sozialen Netzwerke ohnehin nicht mehr verschwinden, weshalb ein reflektierter Umgang damit von Nöten sei, sind sich die beiden Pädagogen einig.

Dazu gehören für die beiden Forschenden auch die Implementierung von Mechanismen durch die Plattformbetreiber, wie beispielsweise die Informationshinweise, die bei bestimmten Postings zu Themen wie der Pandemie oder einer Wahl in Netzwerken ausgespielt werden: „Das ist einfach umzusetzen und in vielen Fällen auch effektiv”, loben sie.

Maßnahmen als Impfung gegen Fehlinformationen

Doch ist auch die Schule als ein Ort des Lernens, Reifens und Werdens diesbezüglich gefordert. Hinsichtlich der Medienkompetenz würden sich Dr. Belova und Dr. Krause für den schulischen Kontext mehr kurze, kreative Interventionen im Stil von HIQO wünschen: „Die Forschung zeigt klar, dass solche Maßnahmen die kritische Reflexionsfähigkeit steigern können und dass der Effekt mehrere Wochen bis Monate anhält. Das nennt man „Inoculation“, also quasi eine Impfung gegen Fehlinformationen. Das muss aber kontinuierlich und regelmäßig passieren, und zwar in allen Fächern. Ein Cybermobbing-Workshop einmal im Jahr reicht nicht,” geben sie zu bedenken.

Dass HIQO Wirkung entfaltet, haben Dr. Belova und Dr. Krause seit der ersten Erprobung des Konzepts immer wieder erfahren: „Ich habe das Konzept im letzten Schuljahr in meinem eigenen Chemiekurs eingesetzt, mit sehr positiven Rückmeldungen”, berichtet Dr. Belova. „Monate später - ich hatte den Kurs schon abgegeben - begegnete ich einem Schüler in der Fußgängerzone. Bei einem kurzen Gespräch kam er sofort auf HIQO und bezeichnete seine Erfahrung als „die besten Chemiestunden seines Lebens.“

Umso schöner, dass auch bald Frankfurter Schülerinnen und Schüler ihre Erfahrungen mit HIQO machen können, wenn das Konzept an Frankfurter Schulen transferiert wird.

 

Über den Polytechnik-Preis
Mit dem Polytechnik-Preis würdigt die Stiftung Polytechnische Gesellschaft Fachdidaktiker und Lehr-Lernforscher in Deutschland, Österreich und der Schweiz für ihre herausragenden Forschungs- und Entwicklungsleistungen für guten MINT-Unterricht. Der Preis ist mit 75.000 Euro dotiert.

Um Kinder und Jugendliche für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik zu begeistern, bedarf es innovativer und motivierender Unterrichtskonzepte. Eine Schlüsselrolle kommt dabei den fachdidaktischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an den Hochschulen zu. Ihre herausragenden Forschungs- und Entwicklungsleistungen zur kontinuierlichen Weiterentwicklung von Unterricht zeichnet die Stiftung Polytechnische Gesellschaft seit 2011 mit dem Polytechnik-Preis für die Didaktik der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik aus. So soll die große Bedeutung naturwissenschaftlicher Bildung und die Leistung der Fachdidaktiker und Lehr-Lernforscher in die Öffentlichkeit gerückt sowie der Transfer der ausgezeichneten Unterrichtskonzepte nach Frankfurter gefördert werden.

Der Preis steht unter der Schirmherrschaft der Bundesministerin für Bildung und Forschung. Jede Ausschreibung des Preises erfolgt zu einem aktuellen Fokusthema

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