Zehn Jahre Jazz und Improvisierte Musik in die Schule!

"Das war ein richtiger Gänsehaut­moment"

Das Musikvermittlungsprogramm Jazz und Improvisierte Musik in die Schule! (JIMS) feierte 2021 ein besonderes Jubiläum. Projektleiter Sascha Wild spricht im Interview über die Entwicklung, die das Projekt genommen hat, und gewährt persönliche Einblicke.

von Jens-Ekkehard Bernerth

"Jazz und Improvisierte Musik!" zu Gast im Jazz-Keller. Foto: Christoph Heyd

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Herr Wild, Glückwunsch zum zehnjährigen Jubiläum. Wie kam es damals zur Gründung des Projekts?

Im Rahmen einer Schulveranstaltung entstand die Idee, "Jazz und Improvisierte Musik in die Schule!“ ins Leben zu rufen. Professor Kaehlbrandt war davon begeistert, jugendliche Jazzmusiker auf einer Schulbühne spielen zu sehen. Diesen Impuls hat er in die Stiftung Polytechnische Gesellschaft getragen und das Team dafür gewonnen, ein Programm zur „Verjüngung der Jazzszene“, wie er sagte, zu entwickeln. Während der Entwicklungsphase konkretisierte sich der Ansatz, jazzbegeisterte Musikpädagogen als Multiplikatoren für diese Idee gewinnen zu können. So kam es schließlich zur Formulierung „… in die Schule!"

Waren Sie von Anfang an dabei?

Fast. Ich kam in einer Lehrergesprächsrunde hinzu, als der erste Entwicklungsstand potenziellen Teilnehmern vorgestellt wurde. Dabei haben mich die Art und Weise, wie die Stiftung an das Thema herangegangen ist, begeistert - und natürlich das Thema, ich habe Instrumentalpädagogik mit Schwerpunkt „Jazz“ studiert. Vor diesem Hintergrund habe ich mich als musikpädagogischer Ansprechpartner für das Projekt beworben und konnte ab der ersten Förderrunde an der weiteren Entwicklung teilhaben und es mitgestalten.

Was ist in Ihren Worten das Ziel des Projekts, was ist der Schwerpunkt?

In erster Linie geht es natürlich um das Entfachen der Begeisterung zur Musik sowie kreative Impulse zu setzen. Zudem wollen wir mit unserem Programm Jazz als Teil des kulturellen Erbes der Stadt Frankfurt ins Bewusstsein der Kinder und Jugendlichen bringen. Dies möchten wir mit interessanten und aufbauenden Angeboten in die Schule bringen.

Welche pädagogischen Methoden kommen zum Einsatz?

In der Hauptsache setzen wir auf musikpraktisches Miteinander. Alle sind aktiv und idealerweise ist das Publikum im Konzert auch immer ein Teil der Band. Zusätzlich stellen wir Materialien zur Jazzgeschichte und zur Jazztheorie zur Verfügung und bilden interessierte Lehrkräfte in der Umsetzung unserer Inhalte fort.

Was zeichnet Ihrer Meinung nach das Projekt besonders aus?

Seine Dynamik und stetige Weiterentwicklung. Hier lebt die Projektarbeit unser Jazzverständnis vor, in dem wir in stetigen Austausch mit unseren Zielgruppen stehen und von deren Bedarfen, Rückmeldungen und Wünschen lernen und unsere Bausteinangebote situativ auf die Möglichkeiten vor Ort anpassen. Die wichtigste Erkenntnis ist dabei, dass sich Pädagogik stetig wandelt und weiterentwickelt. Daher verstehen wir unser Angebot als dynamisches Modell, dass wir immer wieder auf die individuellen Bedürfnisse der teilnehmenden Gruppen hin anpassen.

Generell: Warum fördern Sie frühe musikalische Bildung? Und warum über den Jazz?

In unserem Projekt möchten wir Interessierte so früh wie möglich mit Jazz und Improvisierter Musik in Berührung bringen. Zum einen ist Jazz ein wichtiger Bestandteil der Kulturszene in Frankfurt. Zum anderen können sich Kinder mit all ihrer Kreativität, Spontaneität und Begeisterungsfähigkeit in die Gestaltung dieser Musikform einbringen.

Was bringt den Jugendlichen das?

Entfaltungsspielräume! Und damit verbunden alles, was mit zur Entdeckung gruppenbasierter und gruppendynamischer Prozesse führt. Kinder müssen sich sehr schnell in eine Situation hinfinden, die Möglichkeiten anbietet und Entscheidungen sucht. Aus meiner Sicht ist das auch ein Aspekt von Demokratiebildung.

»In erster Linie geht es natürlich um das Entfachen der Begeisterung zur Musik sowie kreative Impulse zu setzen.« Sascha Wild Projektleiter Jazz und Improvisierte Musik in die Schule!

Finden Sie, dass musikalische Bildung im schulischen Lehrplan zu kurz kommt?

Ich sehe noch viel entfaltbares Potenzial - vor allem in den Bereichen interdisziplinäres und überfachliches Lernen. Schule kann der Musik zusätzliche Entfaltungsräume außerhalb der Fachgrenzen einräumen. Hierbei kann Musik den Lernenden ganzheitliche Anker anbieten. Mir fallen vor allem die sprachlichen Fächer ein, aber auch Naturwissenschaften und Sport könnten stärker auf musikalische Ansätze zugreifen.

Haben Sie selbst frühmusikalische (Aus)Bildung genossen? Falls ja, inwiefern?

Meine wichtigste frühmusikalische Bildungserfahrung war das gemeinsame Musizieren mit meinem Großvater. Er hat mir als Fünfjährigen seinen kompletten Liedschatz beigebracht - auswendig, ohne Notenkenntnisse, allerdings mit Freude und Hingabe. Mit diesem Grundwortschatz kam ich in den Genuss der klassischen Musikschulausbildung, die im Musikstudium endete.

Kommen wir zurück zu JIMS: Gibt es für Sie einen ganz besonderen magischen Moment, den Sie im Projekt mitbekommen haben?

Im November 2019 fand unsere bisher letzte Jamsession im Jazzkeller Frankfurt statt - mit einem unerwartet großen Andrang an jazzbegeisterten Schülern. Dieses Ereignis hat sich eingebrannt. Ebenso begeisternd nehme ich die Begegnung mit jungen Talenten wahr. Wirklich „magisch“ war für mich das erste Mitmachkonzert, das wir während der Pandemie unter entsprechenden Auflagen durchgeführt haben. Hier haben die Kinder völlig in sich versunken und spontan ein Weihnachtslied unter der Maske mitgesummt. Das war ein richtiger Gänsehautmoment.

Worauf können sich Teilnehmende und Jazz-Liebhaber 2022 bei JIMS freuen?

Unser Highlight 2022 wird mit Sicherheit das gemeinsame Konzert mit Nils Landgren in der Alten Oper. Hier stehen voraussichtlich am 5. Juli Frankfurter Schülerinnen und Schüler mit dem schwedischen Weltstar auf einer Bühne. Bereits der erste Workshop mit ihm im September war ein echtes Highlight, denn Landgren begegnete den Schülern mit großer Offenheit und einer ungebremsten Spielfreude. Motivation pur!

Wissen Sie, wie viele Teilnehmer Sie mit der Teilhabe geprägt und aktiv für Musik begeistert haben?

Inzwischen haben wir fast 20.000 Schülerinnen und Schüler aktiv erreicht. Dass sich davon in der Zwischenzeit einige von Ihnen für ein Jazzstudium entschieden haben, freut uns ganz besonders. Ein besonderes Highlight ist es für uns, dass in diesem Jahr ein ehemaliges Mitglied unseres Schüler-Jazzensembles mit dem Jazzstipendium der Stadt Frankfurt ausgezeichnet wurde.

Gibt es ein besonders schönes Zitat einer Teilnehmerin oder eines Teilnehmers, das Ihnen ganz besonders im Ohr bzw im Herzen geblieben ist?

Einer unserer Projekt-Lehrkräfte sagte es sinngemäß so: „Jazz macht es allen Schülern möglich, auf authentische Art und Weise einen Beitrag zum Gelingen der Aufführung beizutragen. Das schafft eine unglaubliche Motivation.“  

Herr Wild, vielen Dank für das Gespräch und auf die nächsten zehn Jahre!

Fotos: Christoph Heyd (Coverbild), Philip Eichler (Porträt)

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