Nach und nach strömt an diesem sonnigen Vormittag des 23. Mai 2024 eine Schulklasse nach der anderen durch die Eingangstür der Frankfurter Paulskirche. Insgesamt 20 Delegationen von Schulen aus ganz Frankfurt haben sich bei der Stiftung Polytechnische Gesellschaft für diesen Tag angemeldet. Rund 600 Jugendliche.
Doch nicht nur Oberstufenschülerinnen und -schüler, Lehrkräfte und Schulleitungen erscheinen heute, an diesem besonderen Tag – dem 75. Jahrestag des deutschen Grundgesetzes – zahlreich in der Paulskirche. Auch Gäste aus Politik, Justiz, Medienlandschaft und Wissenschaft füllen nach und nach die Reihen des großen Saals dieses besonderen Ortes der Demokratiegeschichte.
Pünktlich um 10 Uhr erfüllen die Stimmen des Chores der Carl-Schurz-Schule die Paulskirche. Der Feierlichkeit des Tages und Ortes ihres Auftritts angemessen singen sie die Europahymne "Ode an die Freude". Kurz darauf tritt Marcus Kiesel von den Politiksprechern der Agenten der gepflegten Debatte ans Mikrofon. "Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Schülerinnen und Schüler – ich begrüße Sie und euch ganz herzlich zu unserer großen Abschlussveranstaltung im Projekt Junge Paulskirche 2023/24!"
Debattieren, Argumentieren, Konsens finden
In dem von der Stiftung Polytechnische Gesellschaft ins Leben gerufenen Programm "Junge Paulskirche – Schülerforum zu Demokratie und Verfassung" beschäftigen sich Oberstufenschülerinnen und -schüler, die politisch und historisch besonders interessiert sind, mit Grundfragen zu Demokratie und Rechtsstaat. Ein halbes Jahr lang diskutieren sie über aktuelle Themen, Grundrechtskonflikte und Prinzipien des Rechtsstaats. Ausgangspunkt der Debatten ist stets das Grundgesetz unserer freien und demokratischen Gesellschaft.
»Ihr seid die Zukunft!«
Heute stellen die 18 Jugendlichen der Jungen Paulskirche die Ergebnisse ihrer Programmteilnahme und der darin geführten Diskussionen auf einer eigens dafür konzipierten Veranstaltung in der Frankfurter Paulskirche vor. Doch bevor es so weit ist, tritt Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef zur Begrüßung ans Rednerpult. "Liebe Schülerinnen und Schüler, die Abschlussveranstaltung der Jungen Paulskirche findet heute hier an einem ganz besonderen Tag statt: Wir feiern 75 Jahre deutsches Grundgesetz. Ich möchte eines loswerden an diesem wichtigen Tag: Man lernt den Wert von etwas, was man hat, immer erst dann zu schätzen, wenn man es nicht mehr hat. Nehmt Freiheit nicht als Selbstverständlichkeit wahr. Nichts ist von Dauer, nichts ist selbstverständlich, alles muss immer wieder neu erkämpft und verteidigt werden. In vielen Ländern dieser Welt ist Freiheit keine Selbstverständlichkeit. Es gibt keine bessere Form des Zusammenlebens als die Demokratie. Lasst sie uns gemeinsam schützen!" Und er ergänzt: "Ihr seid die Zukunft. Auch die Zukunft unseres Rechtsstaats und unserer Demokratie."
Danach begrüßt Helge Eikelmann von den Politiksprechern der Agenten der gepflegten Debatte die Podiumsgäste: "Ich freue mich sehr darüber, dass wir heute hier so ein buntes Podium begrüßen dürfen!" Zu Gast sind Prof. Dr. Sigrid Rossteutscher, Professorin am Institut für Soziologie der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Christian Heinz, Hessischer Minister der Justiz und für den Rechtsstaat, Prof. Dr. Andreas L. Paulus, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D., und Jürgen Kaube, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Fünf Debatten
Jeweils paarweise treten Jugendliche des Programms Junge Paulskirche im Anschluss nach vorne, stellen die Themen der insgesamt fünf Debatten vor, die im Programm stattgefunden haben, und stellen einzelnen Podiumsgästen thematisch zur Debatte passende Fragen. Sind Bundesgerichte und Staatsanwaltschaft hinreichend vor politischer Einflussnahme geschützt? Müssen wir Polizei und Sicherheitskräfte stärker überwachen? Müssen wir Politik, Lobby und Privatwirtschaft strikter trennen? Müssen wir ausländischen Einfluss auf religiöse Organisationen verbieten? Und: Wie lässt sich das deutsche Justizsystem reformieren? Mit diesen Themen haben sich die Schülerinnen und Schüler im Programm beschäftigt.
Auch das Publikum wird an der ein oder anderen Stelle in die Diskussion mit einbezogen: "Mal ehrlich", fragt Markus Kiesel einen Schüler aus den mittleren Reihen mit dem Handmikrofon, "beschäftigt dich das Bundesverfassungsgericht und die Frage nach seiner Unabhängigkeit privat?" "Ganz ehrlich: natürlich nicht. Aber jetzt, wo ich darüber nachdenke: Die Frage ist wichtig." "Vertraust Du der Exekutive?", fragt Kiesel etwas später eine Schülerin. "Ja, ich vertraue der Polizei. Sicher – es gibt ohne Zweifel auch Fälle von Polizeigewalt… Aber grundsätzlich habe ich Vertrauen." Auch, als die Frage an das gesamte Publikum gestellt wird, gehen die allermeisten Hände in die Höhe – aber nicht alle. Dass Fragen wie diese oft nicht einfach nur mit einem klaren JA oder einem NEIN beantwortet werden können – das ist genau die Erkenntnis, die die Jugendlichen laut eigener Aussage in dem Programm gewinnen konnten. "Vor allem diese Debatte hat bei uns allen großen Eindruck hinterlassen", erinnert sich die vortragende Schülerin . Helge Eikelmann betont: "Wir haben für die Debatten bewusst Themen gewählt, die schwierig waren mit Blick auf eindeutige Positionen." Und genau das ist ja auch das Ziel des Programms: zu lernen, verschiedene Positionen einzunehmen und anzuhören, zuzuhören, ausreden zu lassen – und am Ende, im Idealfall, einen Konsens zu finden. Zu debattieren eben – eloquent, mit guten eigenen Argumenten, aber auch mit Respekt für sein Gegenüber. Dass die Jugendlichen das in den letzten Monaten erfolgreich geübt und verinnerlicht haben – daran hat an diesem Tag niemand Zweifel.
Feierliche Übergabe
Nach einem kurzen Intermezzo des Frankfurter Schüler-Jazz-Ensembles übergeben die Jugendlichen selbstbewusst ihr Memorandum zu Demokratie und Rechtsstaat, die Abschlussdokumentation ihrer Programmteilnahme, an den hessischen Justizminister Christian Heinz. Welcher Grundgesetzartikel ihm am wichtigsten sei, fragen sie. "Artikel 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das ist das Versprechen des Grundgesetzes für die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft." Und er ergänzt: "Ich habe noch eine Bitte an euch: Bringt euch politisch ein! Nehmt auch unbequeme Minderheiten-Positionen ein, damit sie gehört werden. Und: Nehmt an der Europawahl teil. Sie ist wichtiger, als ihr vielleicht meint."
Appell an die eigene Generation
In seinem kurzen Abschlussinterview mit einer Teilnehmerin und einem Teilnehmer der Jungen Paulskirche bedankt sich Prof. Dr. Frank E.P. Dievernich, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Polytechnische Gesellschaft: "Danke allen Schulen, die heute hier waren!" Danach interviewt er die beiden Jungen Paulskirchler Abdullah Azmeh und Hêvî Karasu auf der Bühne – zu Fragen, wie "Die Demokratie steht mehr denn je unter Druck. Was tun?", oder: "Brauchen wir tatsächlich mehr Konsens?" Am Ende fragt er Abdullah, ob es von seiner Seite noch eine Botschaft an die anwesenden Schülerinnen und Schüler gibt. "Ja. Wir beschweren uns hier in diesem Land oft darüber, dass sie Bahn nicht pünktlich kommt, dass die Digitalisierung an den Schulen dauert. Bitte, macht euch bewusst: Viele Menschen auf der Welt leiden wegen Krieg. Was ich aus dem Programm mitgenommen habe: Wir als Gesellschaft müssen lösungsorientierter handeln. Nicht spalten. Mehr Konsens sollte stattdessen das Ziel sein."
Dafür gibt es lauten Applaus. Und für alle Schülerinnen und Schüler der Jungen Paulskirche zum Abschluss noch eine feierliche Urkundenübergabe. Die Jugendlichen der Jungen Paulskirche haben gezeigt, dass sie bereit sind, sich für die Werte einzusetzen, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Ihre Stimmen und ihr Engagement sind ein starkes Signal für die Zukunft und den Schutz unserer Demokratie.
Ganz vorbei ist das Programm für sie noch nicht, denn im Sommer steht noch eine Abschlussfahrt nach Karlsruhe und Straßburg an, auf der die Jugendlichen Orte der Demokratie besuchen und mehr über sie erfahren. Wir wünschen viel Spaß dabei!
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