Begriffe wie "Bildung im Digitalen Wandel", "Digitalpakt", "Schule 2.0" und "Medienkompetenz" prägen seit geraumer Zeit aktuelle Bildungsdebatten. Sie bergen Chancen für das Bildungswesen, ihre Implementierung stellt es aber auch vor Herausforderungen.
"Wie kann Schule mit diesen Herausforderungen in der Praxis umgehen?", fragte daraufhin Anne Purtz (Informatiklehrerin und ehemalige Leiterin des Fachbereichs Naturwissenschaften am Gymnasium Riedberg) schon im Jahr 2019 im Stiftungsmagazin Polytechnik zum Thema Digitalisierung und Bildung.
Heute hat das Gymnasium Riedberg mit dem neuen Wahlunterricht Digitechnikum@School eine Antwort auf diese Frage gefunden, die laut Schulleiter Helmut Kühnberger dazu beiträgt, eine Lücke im Curriculum zu schließen: Seit dem Schuljahr 2023/24 ist das Gymnasium Riedberg neben der Ziehenschule in Frankfurt Pilotschule für das neue Wahlfach, in dem Schülerinnen und Schüler der zehnten Klasse ihre informatischen Kenntnisse erweitern und vertiefen und gemeinsam an digitalen Lösungen für gesellschaftliche Probleme und Fragestellungen arbeiten können. Insgesamt 28 Schülerinnen und Schüler haben im ersten Jahrgang daran teilgenommen.
Neue Wege im Unterricht: das Digitechnikum@School
Im Fach Digitechnikum@School sind die Schülerinnen und Schüler zwei Stunden pro Woche keine bloßen Medienkonsumenten mehr, sondern werden zu digitalen Gestaltern und Medienproduzenten. In Teams entwickeln sie Webseiten, Apps oder digital gesteuerte Hardware, die einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten. Auf diese Weise können die Jugendlichen im digitalen Zeitalter ihre Umwelt selbst aktiv mitgestalten und sie konkret verbessern. Durch diese wertvollen Selbstwirksamkeitserfahrungen und die Arbeit in Projektteams werden nicht nur ihre IT-Kompetenzen, sondern auch ihre Persönlichkeitsentwicklung gefördert.
Digitechnikum@School ist eine Ausweitung des Digitechnikums, dem IT-Bildungsprojekt der Stiftung Polytechnische Gesellschaft und der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Als Antwort auf Herausforderungen, vor die die Gesellschaft hinsichtlich der fortschreitenden Digitalisierung gestellt wird, hat die Stiftung das Digitechnikum im Jahr 2019 in Zusammenarbeit mit dem Institut für Didaktik der Mathematik und der Informatik (IDMI) der Goethe-Universität gestartet. Mit dem Programm werden verantwortungsbewusste, kreative und IT-interessierte Jugendliche dabei unterstützt, ihre informatischen Kenntnisse zu verbessern, sie für das Gemeinwohl einzusetzen, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und sich zu vernetzen.
Parallel zum Stipendienprogramm wurde das Digitechnikum durch die Goethe-Universität wissenschaftlich begleitet, um ein didaktisch fundiertes Unterrichtskonzept für Schulen zu entwickeln. Das Ergebnis ist eine publizierte, umfangreiche Handreichung für Lehrkräfte, mithilfe derer das Digitechnikum@School erfolgreich im Schulcurriculum integriert und umgesetzt werden kann. Darin enthalten sind umfassende Informationen zum grundlegenden Format des Digitechnikums, zu den möglichen Umsetzungsvarianten in der Schule sowie zu den genutzten Methoden, Materialien und zur Software. Das Herzstück der Handreichung bilden Best-Practice-Beispiele zu einzelnen Projekten der Jugendlichen aus den vergangenen Jahren. Diese basieren auf der Auseinandersetzung mit verschiedenen Themenbereichen wie Umwelt und Nachhaltigkeit, Gesundheit oder Mobilität und identifizieren aktuelle Probleme, mit denen sich Jugendliche in ihren Lebenswelten konfrontiert sehen. Mithilfe kreativer Methoden suchten die Jugendlichen nach den besten Lösungen für diese Herausforderungen und konnten dabei frei entscheiden, ob sie ein Software- oder Hardware-Projekt beispielsweise in Form einer Webseite, App oder eines Robotikprojekts entwickeln.
So findet sich in der Handreichung beispielsweise die App-Idee "SchoolDex" für ein digitales Schulnetzwerk, das Schülerinnen und Schülern hilft, wichtige Informationen abzurufen und sich miteinander zu vernetzen. Die User können innerhalb der App zum Beispiel den Vertretungsplan und den Speiseplan der Schule aufrufen sowie Nachhilfeangebote oder -gesuche einstellen.
Projekte für die Gesellschaft
Ein weiteres Best-Practice-Beispiel adressiert Menschen, die regelmäßig Medikamente einnehmen müssen. Die 3D-gedruckte "Smarte Pillenbox", die gleichzeitig als Aufbewahrungsbox fungiert, soll zum richtigen Zeitpunkt an die Einnahme erinnern und die Tabletten in der korrekten Dosis ausgeben. In der Box können die Tabletten auf einer Art Rutschbahn gelagert werden, die Ausgabe kann mithilfe einer Schraube und einem Schrittmotor erfolgen. Die Einnahmezeitpunkte werden mittels einer App konfiguriert.
Je nach Umsetzungsvariante und Erfahrung der Lehrkraft sowie dem Vorwissen der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler können im Unterricht die Projekte aus der Handreichung umgesetzt oder eigene Projektideen entwickelt werden. Der Lehrkraft steht es frei, ob sie rein digital mit den Schülerinnen und Schülern arbeiten möchte, oder sie ein auch handwerklich forderndes Hardware-Projekt verwirklicht. Somit bietet die Handreichung Orientierung, Inspiration sowie eine gute Grundlage für die gezielte Potenzialförderung und die Vermittlung von Zukunftskompetenzen.
Für Schülerinnen und Schüler bietet der projektorientierte Unterricht aufgrund der agilen Methodik, der engen Teamarbeit und der praxisorientieren Herangehensweise eine attraktive Abwechslung zum regulären Schulprogramm, mit dem sie nicht nur IT-Kenntnisse, sondern auch fachübergreifende Kompetenzen und Future Skills erwerben können. Am Ende einer erfolgreichen Teamarbeit steht ein Prototyp, den die Schülerinnen und Schüler selbst entwickelt haben und in einer Abschlusspräsentation ihren Mitschülerinnen und Schülern vorstellen.
Persönlichkeitsentwicklung durch Teamarbeit
"Insbesondere im Bereich Teamarbeit habe ich unglaublich viel dazugelernt – wie es laufen sollte und auch, wie es nicht laufen sollte. Unser Projekt ist zwar nicht fertig geworden, aber das Digitechnikum hat mich fachlich und auch menschlich einen riesigen Schritt weitergebracht", berichtet ein Teilnehmer aus dem vergangenen Schuljahr.
Das Digitechnikum@School stellt für die teilnehmenden Schulen eine innovative und zukunftsweisende Unterrichtsform dar und bietet die Möglichkeit, sich schulübergreifend intensiv auszutauschen und zu vernetzen. Die jungen Digitaltalente, die sich in den Schulen besonders hervorgetan haben, können von den Lehrkräften im Anschluss auch für das Stipendienprogramm Digitechnikum vorgeschlagen werden. So fördert die Stiftung in Zusammenarbeit mit ihren Partnern – der Goethe-Universität und den teilnehmenden Frankfurter Schulen – systematisch die Weiterentwicklung junger Menschen und ihrer Potenziale im informatischen und digitalen Bereich entlang der Bildungsbiographie.
Nach einem weiteren Konsolidierungsjahr an den beiden Pilotschulen soll das Digitechnikum@School zum Schuljahr 2025/26 an vier weiteren Frankfurter Schulen angeboten werden. Eine kontinuierliche Ausweitung des Digitechnikum@School in den Folgejahren ist beabsichtigt. Schulen, die Interesse am Transfer haben, können sich an die Stiftung Polytechnische Gesellschaft wenden. Wir freuen uns auf Ihre Kontaktaufnahme.
Dieser Artikel ist in ähnlicher Form in der Zeitschrift "Blickpunkt Schule" (Ausgabe 4/2024) erschienen.