Silja, herzlichen Glückwunsch zum Abschluss dieses Jahrgangs. Mit welchem Wort würdest Du ihn beschreiben?
#EintrachtDurchVielfalt
Warum hast Du diese besondere Wortkombination gewählt?
Es stammt von der Gruppe selbst, der Hashtag tauchte in einem der Workshops auf bei der Frage: „Wie würdest Du die Gruppe beschreiben?“. Ich finde, der Hashtag trifft auch mein Gefühl sehr gut: Die Gruppe der Stadtteil-Botschafterinnen und Stadtteil-Botschafter war diesmal besonders bunt und divers, allein vom Alter her (15 bis 27 Jahre), aber auch im Hinblick auf Themen und Charaktere. Und trotz – oder vielleicht gerade wegen? – der Vielfalt, trotz der erschwerten Bedingungen durch Pandemie und den Online-Treffen auf Distanz, ist es den jungen Menschen und uns allen gelungen, ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln. Das hat mich beeindruckt und wird mir besonders in Erinnerung bleiben.
Wie sehr hat die Pandemie die Arbeit mit den Stadtteil-Botschaftern verändert? Was musste neu gedacht, was nachjustiert werden?
Wir waren damit konfrontiert, dass wir plötzlich alle Treffen, Workshops und Seminare online abhalten mussten, anstatt uns live zu sehen. Das bedeutete eine große Zäsur. Das Stipendienprogramm lebt geradezu davon, dass wir uns persönlich begegnen können. Dass zum Beispiel an unserem monatlichen Werkstatt-Tag die Stadtteil-Botschafterinnen und Stadtteil-Botschafter mit ihren Mentorinnen und Mentoren die Köpfe zusammenstecken und ihr Projekt planen können. Wie klappt das jetzt digital? Wie wird Vernetzung und "voneinander und umeinander wissen" möglich, wenn man die andere Person bisher nur dreimal kurz gesehen hat und sie seitdem nur zweidimensional über die Videokachel erlebt? Wie kann man Workshops zu "Auftritt und Präsenz vor Publikum", den wir sonst anbieten, jetzt digital ermöglichen? Wir haben also viel daran gearbeitet, wie wir das Stipendienprogramm mit möglichst wenig inhaltlichem Verlust ins Digitale transferieren können und wie für die Stadtteil-Botschafterinnen und Stadtteil-Botschafter trotz fehlender Live-Begegnung ein Gruppengefühl entstehen kann. Außerdem war es uns wichtig, dass trotzdem Synergiemöglichkeiten zwischen den Menschen und Projektthemen sichtbar werden und die jungen Menschen aktiv netzwerken können. Das haben wir zum Beispiel durch unsere monatlichen Online-Meetings und ein digitales Whiteboard sichergestellt, auf dem alle ihre Projektfortschritte, ihre Learnings und Herausforderungen und ihre Anliegen an die Gruppe kommuniziert haben und damit immer alle wussten, woran die anderen gerade arbeiten.
Wie sind die Jugendlichen damit umgegangen?
Sie haben diese digitale Zeit unglaublich gut gemeistert! Online-Schule, Online-Studium, Online-Sport – alles fand vor diesem Gerät mit Bildschirm statt. Und dann auch noch unsere regelmäßigen Treffen… Ich hätte Verständnis gehabt, wenn da die Motivation gelitten hätte, aber ich war wirklich beeindruckt, dass fast immer alle zu unseren Online-Treffen kamen. Und dass sie sich untereinander inhaltlich vernetzen, hat viel besser geklappt, als ich vorher dachte. Einer Mit-Stipendiatin eine Website für ihr Projekt bauen, sich bei einem anderen Projekt als Talk-Gast beteiligen oder im Film mitspielen, sich untereinander thematisch beraten oder ganz aktiv bei einer Live-Veranstaltung mit anpacken – all das und viel mehr waren Effekte von dieser Vernetzung.
Musste mehr angeleitet und betreut werden?
Mehr vielleicht nicht unbedingt, aber anders. Das merkte man im Mentoring: Normalerweise sehen die Mentorinnen und Mentoren ihre Mentees an den Werkstatt-Tagen live und treffen sich auch außerhalb dieser Termine mit den Stadtteil-Botschafterinnen und Stadteil-Botschaftern. Da lernen sie die Jugendlichen insgesamt gut kennen, erfahren auch mal was Privates, können damit gut einschätzen, was für die jungen Menschen neben Schule, Ausbildung, Studium et cetera leistbar ist und was nicht und können sie sehr individuell unterstützen. Außerdem entsteht Vertrauen. Dieser Austausch über Persönliches passiert live oft ungeplant im Gespräch. Das fiel digital tendenziell weg, Vertrauen und gute Zusammenarbeit musste anders entstehen. Durch häufigeres Telefonieren, durch konkrete Kontaktangebote seitens der Mentorinnen und Mentoren, oder Treffen auf Abstand im Stadtteil zum Beispiel. Transparente und gute 1:1-Kommunikation ist immer wichtig, wurde in Zeiten der physischen Distanz aber noch wichtiger, weil all die zwischenmenschlichen Signale fehlten, um einander gut einschätzen zu können.
Gibt es ein Projekt, das Dich ganz besonders überrascht hat und warum?
Die Entwicklung von Lena Schumachers Magazin hat mich sicherlich am meisten überrascht. Im Herbst 2020 hatte sie einen 20-seitigen Prototypen unter dem Namen "Wir-Magazin" erstellt, das als Test und mit der Bitte um Feedback an Jugendliche verschickt wurde. Und durch Kontakte, die daraufhin für Lena entstanden, lag schon Ende Januar 2021 das 100-Seiten-starke Oldschool-Magazin auf meinem Tisch. Das ehrenamtliche Engagement der über 100 beteiligten jungen Menschen, die alles in Eigenregie layouten, illustrieren, schreiben sowie das Zeitinvestment von Lena und ihrem Projektpartner Tim ist enorm. Und das Potenzial des Projekts, weiter zu existieren und auf eigenen Füßen zu stehen, ist groß.
Aber auch Magd hat mich überrascht: Mit seinem Konzept, einen Austausch über nachhaltigere Lebensweise anzubieten, ist er super durch die pandemischen Bedingungen gekommen und konnte die Lücken nutzen, in denen man sich treffen durfte. Er konnte mit seiner Gruppe am World Clean Up Day teilnehmen, Führungen im Freien organisieren, online Expertinnen einladen und per Messenger den Kontakt zu seiner Gruppe halten. So hatte er schon früh im Stipendienjahr viele kleine Events verwirklicht, damit hatte ich vorher nicht gerechnet.
Welche Projekte werden Deiner Meinung nach über die Zeit hinaus weiterexistieren?
Das Potenzial hätten alle! Opshori und Yasmine könnten weiter Kunst im Stadtteil anbieten, Mod einen weiteren Film drehen, Merline und Lotte Jung und Alt und Menschen mit und ohne Behinderung in Kontakt bringen, Magd könnte weiter zum Austausch über nachhaltige Lebensweise einladen. Zum Teil ist die aktive Nachfrage dazu sogar da, aber natürlich muss man bedenken, dass für manche jetzt die Schule mehr Raum einnimmt, weil der Schulabschluss bevorsteht oder sie ein Studium beginnen.
Ganz sicher wird die von Ben erstellte Webseite www.viertelvorffm.de weiter existieren und hoffentlich auch rege von Frankfurter Initiativen als Plattform zur Sichtbarkeit und Vernetzung genutzt werden. Nathalies und Jackys Podcast "Frankfurt lassma reden" kommt jetzt so richtig ins Rollen, und Claras Gesundheitscafé in der Ada-Kantine läuft weiter. Lena Sieling versucht ihre drei Projekttage „YOUth for politics“ fest im Schulgeschehen zu verankern, und Amina stößt mit ihrem Karatetraining für sehende und sehbeeinträchtigte beziehungsweise blinde Kinder auf so viel positive Resonanz, dass die Frage nach einem festen Nachmittagsangebot an der Hermann-Herzog-Schule im Raum steht. Annalisa war schon vor ihrem Stadtteil-Botschafter-Stipendium in Sachen Sensibilisierung für Gehörlosigkeit aktiv, und wird das als Influencerin auf Instagram auch weiterhin sein, wenn auch mit weniger konkretem Bezug zu einem Frankfurter Stadtteil.
Die nächste Generation steht vor der Tür. Hat sich im Ablauf des Programms etwas aufgrund der Erfahrungen mit dem letzten Jahrgang geändert?
Nein, inhaltlich bleiben wir bei unseren bewährten Themen. Aber wir sind auf jeden Fall flexibel, um auf sich ändernde Umstände schnell reagieren zu können. Auch wenn wir unbedingt wieder persönliche Treffen abhalten wollen. Ein paar Workshopthemen haben digital gut, vielleicht sogar besser funktioniert als live, deshalb wird es auch hybride Angebote geben im nächsten Jahr. Also eine Kombi aus Live-Seminaren und Online-Workshops.
Worauf können die Jugendlichen sich freuen, was bekommen sie geboten?
Da möchte ich am liebsten auf unsere Ehemaligen auf der Website des Stadtteil-Botschafter-Projekts verweisen, die in vier Videos persönlich davon berichten, was ihnen die Teilnahme am Stipendienprogramm und ihr Stadtteil-Botschafter-Projekt gebracht haben. Sie beantworten das aus erster Hand.
Meinerseits kann ich sagen: Als engagierter junger Mensch bekommst Du bei uns eine Community aus ebenso Engagierten, einen regelmäßigen Austausch und ein wachsendes persönliches Netzwerk, das Dir auch über das Stipendienjahr hinaus erhalten bleibt. Du bekommst ein breites Fortbildungsangebot zu persönlichen Themen wie Zeitmanagement oder Auftritt vor Publikum, aber auch zu Sachthemen wie Projektmanagement, Öffentlichkeitsarbeit, Social Media und Finanzierungsmöglichkeiten. Du bekommst eine persönliche Begleitung auf Deinem Weg von der Idee zum Projekt, Du kannst Dich selbst verwirklichen und Dich ausprobieren und erfahren, was es heißt, sich aktiv für Frankfurt am Main zu engagieren. Das alles in einer lockeren Atmosphäre außerhalb von Schule und Co., mit netten und interessanten Menschen, schönen Events und hoffentlich vielen Erfahrungen, die Du für Dich und Dein weiteres Leben mitnimmst!
Silja, vielen Dank für dieses Gespräch und viel Erfolg weiterhin für das Programm.
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