Das Bildungsprogramm Meine Zeitung der Stiftung Polytechnische Gesellschaft und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist mehr als nur ein Programm zur Stärkung der Lesefähigkeiten. Die Aspekte Nachrichten- und Medienkompetenz sowie Demokratiebildung nehmen in diesen Zeiten eine immer wichtiger werdende Bedeutung ein.
Es ist Januar an einer Gesamtschule im Osten Frankfurts. Während es draußen kalt und grau ist, lässt sich in der Schulbibliothek eine nahezu hitzige Temperatur feststellen. Denn dort hat sich die 8. Klasse der Gesamtschule eingefunden, die ganz frisch am Projekt Meine Zeitung (Projektsteckbrief) teilnimmt, um mit den Projektbeteiligten der Stiftung Polytechnische Gesellschaft und der Frankfurter Allgemeine Zeitung bei einem sogenannten Zeitungsfrühstück ins Gespräch zu kommen. Die jungen Menschen sprechen von gesteuerten Medien und einer geheimen Weltregierung.
Die Palette von Verschwörungstheorien und Desinformationen verdeutlicht in diesem Moment wie in einem Brennglas, warum es digitale Medienbildung im Sinne eines kritischen und reflexiven Umgangs im Jahr 2024 an Schulen braucht; und warum die Lehrerin unbedingt mit ihrer Klasse das mehrwöchige Projekt zur Förderung der Lese- und Medienkompetenz durchführen möchte. Sie hat sich beworben, als Digitalklasse teilzunehmen, die dank der Unterstützung durch das Medienzentrum Frankfurt über den gesamten Projektzeitraum einen Klassensatz Tablets zur Verfügung gestellt bekommt.
Social Media als Informationsquelle
Dass soziale Medien wie TikTok, Instagram und YouTube eine zentrale Rolle im Leben der Jugendlichen spielen, verdeutlicht nicht zuletzt die Sinus-Jugendstudie 2024 der Bundeszentrale für politische Bildung. Die Plattformen werden zur Unterhaltung, zur Pflege sozialer Kontakte, aber auch zunehmend als Nachrichtenquelle genutzt. Wobei aktuelle Ereignisse und politische Inhalte oft eher zufällig oder einfach „nebenher“ konsumiert werden, sollten sie vom Algorithmus in den Feed gespült werden.
Diese Entwicklung zeigt, welche Deutungshoheit Social Media auf die Meinungsbildung junger Menschen hat. Jugendliche kommen immer häufiger mit schnellen, manipulierenden oder oft stark verkürzten sowie falschen und extremistischen Meinungen in Kontakt, ungefiltert und nicht verifiziert. Gleichzeitig werden klassische Nachrichtenformate mehr und mehr von den sozialen Medien abgelöst.
Bereits mehr als die Hälfte der 12- bis 19-Jährigen (58 Prozent) sind laut der JIM-Studie 2023 des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest (MPFS) (PDF) im letzten Monat vor der Befragung mit Fake News in Kontakt gekommen. Die Studie hebt auch hervor, dass jeweils zwei von fünf Jugendlichen Kontakt im Netz mit extremen politischen Ansichten, Verschwörungstheorien oder Hassbotschaften hatten.
Der Einfluss von Fake News und Verschwörungstheorien auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt und demokratische Prozesse ist spürbar und zu einem zentralen Thema geworden - nicht nur, aber besonders auch für Jugendliche.
Junge Menschen bewegen sich dabei in einer digitalen Welt, in die die Eltern und Lehrkräfte viel zu selten einen Einblick haben und sich vielleicht aus Unwissenheit oder Unsicherheit gegenüber diesen Medien sogar scheuen, das Gespräch darüber zu suchen. Gleichzeitig hängt jedoch die Tatsache, ob Fake News überhaupt als solche erkannt werden, maßgeblich davon ab, welche Einordnungsmöglichkeiten die Schülerinnen und Schüler haben – also auch ob Gespräche über Inhalte und Mechanismen in der Schule oder Familie stattfinden können.
Genau dies wünschen sich die 12- bis 25-Jährigen aber: Laut der Shell-Jugendstudie 2024 (Zusammenfassung als PDF) finden es 90% der Jugendlichen sehr wichtig, dass das Erkennen von Fake News in der Schule verpflichtend unterrichtet wird.
Hier setzen die Projektpartner Stiftung Polytechnische Gesellschaft und Frankfurter Allgemeine Zeitung mit dem Projekt Meine Zeitung an. Das Format leistet seit 2007 einen Beitrag zur Stärkung der Medien-, Nachrichten- und Lesekompetenz von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I (6-10) aller Schulformen in Frankfurt. In jedem Jahr nehmen im Zeitraum von Januar bis April über 800 Jugendliche aus circa 30 Klassen an dem Projekt teil. Wurde früher ausschließlich die gedruckte Zeitung in die Schulen geliefert, wird diese mittlerweile nur noch zum Einstieg in das Projekt und vor allem zu einem plastischen Kennenlernen der Struktur und des Aufbaus genutzt. Die digitale Zeitung steht den Projektteilnehmenden als App und E-Paper über den gesamten Zeitraum zur Verfügung.
Information, Kommunikation und Reflexion
Über die (Online-)Zeitung werden die Schülerinnen und Schüler im dreimonatigen Projektzeitraum angeregt, aktuelle gesellschaftliche Themen zu verarbeiten. Sie lernen, sich Inhalte zu erschließen und sich in der Zeitung zu orientieren. Das Erreichen dieses zentralen Lernziels bestätigten 94% der Lehrkräfte bei der Umfrage zum Projektdurchgang 2023/24. Bei Meine Zeitung entwickeln die Schülerinnen und Schüler ein Gefühl für das Medium. Viele kommen in diesem Rahmen überhaupt das erste Mal mit einer seriösen Informationsquelle – ob analog oder digital – in Kontakt.
In Kombination mit altersgerechten Unterrichtsmaterialien werden die Jugendlichen an die Themen Journalismus und fundierte Recherche herangeführt. Sie erfahren viel über das aktuelle Geschehen in Frankfurt, in der Region, in Deutschland und in der Welt. Dass die Schülerinnen und Schüler ihre Allgemeinbildung durch die Teilnahme an Meine Zeitung verbessert haben, bestätigten alle Projektlehrkräfte.
Im Projekt lernen die Jugendlichen, Nachrichten einzuordnen und Zusammenhänge herzustellen. Über diese im schulischen Kontext sprechen zu können, ist ein großer Pluspunkt des Formats: Weg vom klassischen, straffen Lehrplan und vorgefertigten Schulbüchern arbeiten die Schülerinnen und Schüler hier interessensgesteuert mit aktuellen gesellschaftlichen Themen. Sie lesen viel, markieren und sortieren Inhalte, erweitern ihren Wortschatz und sprechen darüber in ihrer Klasse. Das Projekt schafft Möglichkeitsräume, um sich über die Themen, die den Jugendlichen unter anderem in den sozialen Medien begegnen, austauschen und diese pädagogisch begleiten zu können.
Die Schülerinnen und Schüler erhalten dabei Strategien zur Überprüfung von Informationen, die in den sozialen Medien verbreitet werden. Sie werden angeregt, zu vergleichen und zu reflektieren. 82% der befragten Lehrkräfte bestätigten, dass die Schülerinnen und Schüler durch das Projekt gelernt haben, die Glaubwürdigkeit von Informationen besser beurteilen zu können. Gleichzeitig schafft Meine Zeitung eine Basis, um die Funktion von Meinungsbildung in einer demokratischen Gesellschaft zu vermitteln.
Vom Konsumieren zum Produzieren
Über den reflexiven Moment hinaus bietet Meine Zeitung viele Gelegenheiten, digitale Tools kennenzulernen und auszuprobieren. Digitale Pinnwände schaffen kollaborative Arbeitsmöglichkeiten in der Klasse mit zahlreichen Verlinkungen. Bei den Langzeitarbeiten, die die Schülerinnen und Schüler zu selbstgewählten Themen verfassen, wird die klassische Mappe mit papierenen Artikelsammlungen immer häufiger durch vielfältige digitale Formate abgelöst, wie beispielsweise Videos. Und nicht zuletzt können die Jugendlichen bei einem angeleiteten Instagram-Takeover gemeinsam mit ihrer Klasse selbst zu Produzentinnen und Produzenten werden und Themen posten, die ihnen wichtig sind.
Durch Meine Zeitung werden sie zu Expertinnen und Experten in ihrem selbstgewählten Gebiet, und erfahren gleichzeitig über die Dauer des Projekts, was der Unterschied zwischen einer Meinung, echten Nachrichten und Fake News ist.
Das zeigt sich auch bei der 8. Klasse im Frankfurter Osten bei einem zweiten Projektbesuch im April diesen Jahres. Elf Wochen lang haben sich die Schülerinnen und Schüler ausgestattet mit Tablets über die Online-Zeitung informiert, recherchiert und eigene, digitale Langzeitarbeiten zu selbstgewählten Themen verfasst. Der Projektzeitraum neigt sich dem Ende zu. Hat das Projekt etwas bewirkt? Die Meinung der durchführenden Lehrerin und der Klasse ist einstimmig: Ja! Dies spiegelt sich auch im vielseitigen und ausgewogenen Anschlussgespräch mit der Klasse wider. Ein Verständnis für Medien und deren gesellschaftlicher Bedeutung und Funktion wird genauso betont wie die Erkenntnis, dass Meinungen, die man in den sozialen Medien erhält, durch Medienvergleiche validiert werden müssen.
Die Schülerinnen und Schüler können fundierter mitreden, das schafft Sicherheit und Teilhabe. Abschließend fügt die Lehrerin hinzu: Bereits nach zwei Wochen Arbeit mit der Zeitung waren die Verschwörungstheorien aus den Köpfen der Achtklässlerinnen und -klässler verschwunden.
Ab Januar 2025 findet das Projekt wieder an den Frankfurter Schulen statt. So haben dann erneut über 890 Schülerinnen und Schüler aus 34 Klassen durch Meine Zeitung die Chance, ihre digitale Nachrichtenkompetenz zu stärken.
Über die Autorin
Anne Bachmann ist Projektleiterin im Bereich Bildungslandschaft und Sprachbildung. Sie betreut unter anderem das Programm Meine Zeitung.