Von der Theorie in die Praxis: Schülerinnen und Schüler fit für die Zukunft machen

Lehrende von heute bauen (auf) die Schule von morgen

23. April 2025, von Shulamit Rittwagen (jb)

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Die Stiftung Polytechnische Gesellschaft begleitet mit dem zweijährigen Qualifizierungs- und Schulentwicklungsprogramm "Future Skills für Schulen" Lehrkräfte und Schulleitungsteams bei ihrem Transformationsprozess für die Schule von Morgen. Beim ersten Future-Skills-Impulstag sind im März Interessierte und Fachkräfte in der Evangelischen Akademie Frankfurt zusammengekommen, um sich über die Schule der Zukunft auszutauschen.

Der Satz des Pythagoras oder die Werkanalyse von Goethes „Faust“ sind Beispiele der klassischen Curricula an deutschen Schulen. Wie aber werden Schülerinnen und Schüler auf globale Herausforderungen wie Wirtschafts- und Klimakrise, die Digitalisierung der Gesellschaft, Einflussfaktoren wie Fluchtbewegungen oder Fake News vorbereitet? Diese Frage schwebt heute im großen Saal der Evangelischen Akademie über den rund 100 Köpfen der Besucherinnen und Besucher des Future-Skills-Impulstages, darunter Mitarbeitende aus dem Stadtschulamt, dem Kultusministerium, der UAS und weiteren Fachkräfte aller Frankfurter Schulformen. Sie wissen: Um fit für die Zukunft zu sein, brauchen Heranwachsende im Schulalltag mehr als das durch den Lehrplan bisher vermittelte Wissen.

"Mehr wir als ich"

Was sie brauchen, so der Ausgangspunkt dieses Workshoptages, sind überfachliche Kompetenzen – sogenannte Future Skills. In seiner Begrüßungsrede spricht Prof. Dr. Frank Dievernich, Vorstand der Stiftung Polytechnische Gesellschaft, dabei von „tiefmenschlichen Kompetenzen, die wir in der heutigen Zeit zunehmend verlieren“. Fünf dieser Zukunfts-Kompetenzen seien laut Dievernich gesellschaftlich besonders wichtig: Kritisches Denken, welches gerade in Zeiten von Social Media, Konsum und Digitalisierung ein hohes Gut ist. Resilienz - also die Fähigkeit, wieder aufzustehen und nicht nur die Sorge, sondern auch die Chance zu sehen. Mit Verweis auf Michael Endes „Momo“, beschreibt Dievernich drittens die Selbstwirksamkeit als eine Kompetenz, nicht die unendliche Straße vor sich zu sehen, sondern den eigenen Wirkungsbereich wahrzunehmen. Auch unter den Top Five Future Skills des Vorstandsvorsitzenden: Kollaborationsfähigkeit – „mehr wir als ich“, brauche es laut Dievernich. Zustimmendes Nicken bei den Zuhörenden. Schließlich; Transformationskompetenz, das Gestalten können und wollen. Genau dafür dankt Dievernich den Anwesenden zum Abschluss seiner Begrüßungsrede; dass sie heute hier sind, weil sie die Schule der Zukunft zusammen transformieren und gestalten können und wollen.

„Die größte Gefahr ist das Handeln mit der Logik von gestern“

Nach einem kurzen Auflockern beim Kennenlern-Bingo verwandelt sich der Saal kurzerhand in zwei Sitzkreise. Neurowissenschaftler Dr. Arndt Pechstein von „The Future Company“ hält den ersten von zwei TED-Talks. Pechstein geht auf das „Warum eigentlich?“ ein, also die Notwendigkeit von Future Skills. Die kurze Antwort: exponentielles Wachstum. Noch nie haben sich die Dinge so schnell verändert wie heute. Ohne die nötigen Kompetenzen führe dies zwangsläufig zu Überforderung. „Die größte Gefahr in Zeiten des Umbruchs ist nicht der Umbruch selbst – es ist das Handeln mit der Logik von gestern“, zitiert Pechstein zur Verdeutlichung den Pionier der modernen Managementlehre, Peter Drucker. Es brauche zukünftig Fähigkeiten wie Agilität, um Ambiguitäten zu begegnen, Visionen statt Volatilität, Potenzialgestaltung für wachsende Unsicherheiten und Kollaboration, um Komplexität in Zukunft etwas entgegenzusetzen, so Pechstein.

Zur Praxis und der Frage „Wie kann’s konkret gehen?“ hält Bildungswissenschaftlerin Prof. Dr. Anne Sliwka von der Universität Heidelberg den zweiten TED-Talk. Sie forscht unter anderem zur Weiterentwicklung von Schulsystemen. Um sie herum hat sich das Heidelberger Modell des „Deeper Learning“ entwickelt; eine Reformidee, die sich mit dem vertieften Lernen durch Forschen und Handeln in interdisziplinären Lernumfeldern beschäftigt. Dabei steht besonders die Fähigkeit im Zentrum, das erlernte Wissen real anwenden zu können. Sliwka berichtet von Forschungsaufenthalten im Ausland, Schulbesuchen in Australien und andernorts, wo Deeper Learning und die dadurch gelehrten Future Skills bereits vorbildlich in die Curricula implementiert werden. Sliwka plädiert für alternative Lernformen „weg vom Plakat“. Sie nennt das „Voice und Choice“-Prinzip, als eine Möglichkeit, Schülerinnen und Schüler in Entscheidungsprozesse einzubinden, ihnen stets eine Wahl zu geben. Selbstregulation sei eines der wichtigsten Bildungsziele in der Schule von Morgen, betont die Heidelberger Professorin.

Es folgt ein Diskussionsforum: Zu Prof. Dr. Anne Sliwka und Dr. Arndt Pechstein gesellen sich nach und nach Fachkräfte mit ihren Fragen und Anregungen; eine Leiterin einer Frankfurter Grundschule fragt sich selbst und Professorin Sliwka, wie sie Future Skills in den Schulalltag implementieren könne, wenn es bei manchen Schülerinnen und Schülern doch an Grundlegendem wie Erziehung und Selbstständigkeit fehle. Ein weiterer Schulleiter berichtet von seinem motivierten aber mühsamen Prozess, im Schulalltag Stunden freizulegen, die dann für Future Skills umgewidmet werden sollen. Er beschreibt bürokratische Hürden, kritisiert veraltete Strukturen.

Was deutlich wird: Der Bedarf an Entwicklungsprogrammen für die Schule der Zukunft ist da – und er ist hoch. Die anwesenden Vertreterinnen und Vertreter der Schulen wünschen sich Veränderung. Sie wissen genau, wie eine Lehrerin und ehemalige Schulleiterin anmerkt, dass das, was die Schule aktuell bietet, den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler längst nicht mehr gerecht wird.

Lego, Körperarbeit und Visionen in grünem Schleim

Nach Input und Diskussion sind die Teilnehmenden gefragt, ihre Ideen zur Schule der Zukunft selbst aktiv und innovativ zu visualisieren. Dafür stehen drei Worksessions bereit: drei Räume mit drei unterschiedlichen Möglichkeiten, dem Thema Future Skills anders zu begegnen. Im großen Saal sitzen Lehrkräfte, Schulleiterinnen und Schulleiter an Tischen, vor ihnen liegen Legosteine. Sie erhalten verschiedene Bauaufträge wie „Baue den Future-Skills-Muskel, den du diese Woche schon trainieren musstest“. Das Prinzip: mit den Händen denken, durch Legoarchitektur. Viele Mini-Lego-Kunstwerke formen sich auf den Tischen; dort ein Windrad, hier ein Schiff, da ein Motor. Neugierige Blicke von den Sitznachbarinnen und Nachbarn. Die Teilnehmenden beschreiben sich ihre Konstruktionen, tauschen sich aus.

Während es in diesem Raum bunt und gesprächig zugeht, ist es im dritten Stock im Workshop-Raum ganz ruhig. Unter der Anleitung einer erfahrenen Kursleiterin sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmerinnen hier auf ihre Körper konzentriert. Ohne Worte erfolgt der Ausdruck eines Gefühls aus dem Schulalltag pantomimisch; eine Fachkraft streckt die Arme weit auseinander – Zerrissenheit. Ein anderer steht in sich zusammengefallen da – Kraftlosigkeit. Über mehrere Schritte hinweg, helfen die anderen Kursteilnehmerinnen und Teilnehmer sich dann abwechselnd, die eigene Position zu korrigieren, wieder ins Gleichgewicht zu kommen.

Im Erdgeschoss hingegen stehen zwei Kursleiterinnen vor den Anwesenden und kneten grünen Schleim, den sie zusammengemischt haben. Zutaten wie Glitzer und bunte Kugeln stehen bereit. Die Fachkräfte kneten in ihre Portion Knetschleim nach Gusto das ein, was für sie ihre Vision der Schule von Morgen auszudrücken vermag. „Meine Vision ist flexibel, wie diese Knete. Sie verändert sich ständig und passt sich neuen Gegebenheiten an“, erklärt ein Mann, während er auf seinem grünen Schleimball herumdrückt.

Gestalten, sich ausdrücken, neue Formen finden. Dieser Ansatz eint die drei Worksessions, aus denen die Schulleiterinnen und Schulleiter, die Lehrerinnen und Lehrer in ganz unterschiedlichen Stimmungen wieder herausgehen und zurück in den großen Saal der Akademie finden. Von gelöst und entspannt, zuversichtlich bis zu energetisch scheint den Gesichtern und Haltungen nach alles dabei zu sein. Sie habe, beschreibt eine Teilnehmerin ihre Erfahrung an diesem Vormittag, Future Skills selbst ausprobieren und deren positive Effekte unmittelbar erleben können. Das gibt Hoffnung für eine Schule von morgen, die das heutige Curriculum zukunftsstark machen kann.

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