Diesterweg-Stipendium

Wer nicht gesehen wird, muss sich Gehör verschaffen

Die Projekte „Diesterweg-Stipendium für Kinder und Ihre Eltern“ der Stiftung Polytechnische Gesellschaft und „Diesterweg plus“, das vom Zentrum Familie e. V. im Haus der Volksarbeit durchgeführt wird, hatten Stadtverordnetenvorsteherin Hilime Arslaner-Gölbașı eingeladen, um mit Eltern und Jugendlichen über ihren Werdegang und die Wirkungsmöglichkeiten in ihrer Position zu sprechen. Eine Zugewanderte im Dialog mit sechs zugewanderten Familien in Frankfurt.

von Ines Weirauch und Beate Moran

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„Ich war immer gut vorbereitet, und konnte so meine Chancen ergreifen und klar ausdrücken, was mir wichtig ist,“ sagt Hilime Arslaner-Gölbașı bestimmt. Die Wendung von der „guten Vorbereitung“ zieht sich an diesem Vormittag durch die lebhafte und eindrückliche Schilderung vom Weg der „Ersten Bürgerin der Stadt“, wie die Stadtverordnete auch genannt wird, in die Politik. Mehrfach macht sie dabei deutlich, dass es ihr wichtig ist, sich anzustrengen, mitzugestalten – und sich Gehör zu verschaffen.

Moderiert wurde das Treffen von zwei Diesterweg-Alumnae, Murdula Lele und Fadilah Mohamed-Hadji, beide 13 Jahre alt. Im Vorfeld wurden Fragen für die Stadtverordnetenvorsteherin ausgearbeitet. Etwa, warum Frau Arslaner überhaupt Politikerin werden wollte. Präzise benennt Arslaner drei Schlüsselerlebnisse, die sie auf diesen Weg gebracht haben: die Aktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft im hessischen Wahlkampf 1999, die rassistischen Brandanschläge in Mölln im Jahr 1992 und Solingen anno 1993 sowie schlussendlich die Erkenntnis, als Türkin mit 18 Jahren in Deutschland nicht wählen gehen zu dürfen – ganz im Gegensatz zu ihren deutschen Schulfreundinnen.

Nach ihrer Kindheit befragt, spiegelt sie den Jugendlichen genau die Situation, die einige von ihnen nur allzu gut kennen: Das Leben in zwei Welten, die zu wenig voneinander wissen. Frau Arslaner erzählte sehr authentisch von ihrem Weg der Integration in Deutschland und in die Politik: Vom Glück familiärer Geborgenheit, sozialer Unterstützung im richtigen Moment und von einer guten und sympathischen Portion Beharrlichkeit, eigene Ziele zu erreichen. Genauso ehrlich benannte sie auch, dass neben Glück und Willen strukturelle gesellschaftliche Rahmenbedingungen gegeben sein müssen, damit Integration persönlich und beruflich gelingt.

Eine weitere Frage der beiden jungen Moderatorinnen dreht sich um den Berufsalltag einer Stadtverordnetenvorsteherin. Frau Arslaner machte deutlich, dass ihre jetzige Position ein Ehrenamt ist und nicht der Beruf, mit dem sie ihren Lebensunterhalt verdient. Sie habe sich für das erste Jahr beruflich zurückgenommen, denn: „Es ist kein Pappenstiel, das Stadtparlament der fünftgrößten Stadt Deutschlands zu führen.“ Als berufstätige, alleinerziehende Mutter einer 15-jährigen Tochter war der Weg nicht immer einfach, aber: "Ich bin davon überzeigt, dass meine Tochter letztlich davon profitiert, eine Mutter zu haben, die für ihre Überzeugungen in der Öffentlichkeit einsteht."

Politik ist persönlich – das wurde allen Teilnehmern bei diesem Treffen deutlich. Denn das, was Politikerinnen und Politiker entscheiden, berührt die Lebenswelt von allen Menschen, die in Deutschland leben. So konnten die Diesterweg-Familien alle ganz selbstbewusst ihren persönlichen und politischen Standpunkt beziehen: "Frankfurt braucht mehr Wohnraum," fordert eine Mutter, die selbst genau weiß, wie sich beengte Wohnverhältnisse anfühlen. Solidarisch erklärte sich eine Jugendliche mit eritreischer Migrationsgeschichte mit den flüchtenden Menschen aus der Ukraine. Denn das Recht auf Schutz und Asyl darf nicht an der Herkunft oder der Hautfarbe festgemacht werden.

Am Ende des Austauschs stand noch eine Runde auf dem Programm, in der alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Wunsch für die Stadt Frankfurt am Main äußern können. Für die meisten Elternteile ist Frankfurt ein guter Ort, der "leuchtet" und Möglichkeiten bietet - besonders für ihre Kinder. Viele Jugendliche wünschen sich ein Frankfurt, das noch sauberer und grüner ist. Frau Arslaner hat auch einen Wunsch, nämlich, dass die Aussage "Ich komme aus Frankfurt" ausreichend sei für alle, die hier leben, und niemand mehr aufgefordert werde, genauer auf die Herkunft einzugehen.

Zuletzt ein Appell an die Jugendlichen: "Ihr habt etwas zu sagen, also sorgt dafür, dass ihr auch gehört werdet. In Deutschland habt ihr die Chance." Für die beiden 13-jährigen Moderatorinnen gibt es noch das wohlverdiente Lob, sich getraut zu haben, durch den Vormittag zu führen. Mit einem praktischen Tipp zur Stimmführung, der das Selbstbewusstsein stärkt, werden die Familien schließlich in den Nachmittag entlassen. Denn eins dürften die Jugendlichen bei dieser Veranstaltung eindrucksvoll vorgelebt bekommen haben: Es gilt, sich Gehör zu verschaffen, um gesehen zu werden. Und das geht mit Selbstbewusstsein nochmal erheblich besser; egal, woher man kommt.

Fotos: Dominik Buschardt

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